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von Claudia Marquardt & PAN NRW e.V

Zusammenfassung

Der Gesetzesentwurf will Kinder und Jugendliche stärken. Er verbessert an entscheidenden Stellen die Hilfe für behinderte Kinder und Jugendliche. Das ist in der Tat sehr wichtig.

Probleme der deutschen Jugendhilfe insgesamt löst er aber nur an wenigen Stellen.

Wir halten im Entwurf insbesondere folgende Punkte für äußerst kritisch und inakzeptabel (s. unten):

Artikel 1: § 1 Abs.3 Nr.2 SGB VIII

Ziel der Jugendhilfe muss zuvörderst der Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung, körperlicher und seelischer Misshandlung sein. Es geht nicht um ein „selbstbestimmtes Interagieren“ von   Kindern und Jugendlichen. Denn Kinder und Jugendliche werden in erster Linie durch Respekt, Liebe und Akzeptanz gestärkt. Sie brauchen altersadäquate körperliche Versorgung, Schutz vor Gefahren, Förderung und vor allem Bindung an zugewandte erwachsene Personen in ihrer Familie.

Artikel 1: § 37 c Abs. 3, Satz 2 SGB VIII

„Der Wahl und den Wünschen des Leistungsberechtigten ist zu entsprechen“

Genau diese Formulierung hat im Fall „Lügde“ dazu geführt, dass das damals zuständige Jugendamt dem Wunsch der personensorgeberechtigten Mutter entsprach und „den Bekannten“ als Pflegevater akzeptierte, obwohl dieser in prekären Lebensverhältnissen lebte.

Der Wahl und den Wünschen darf nur entsprochen werden, wenn die gewählte Maßnahme auch geeignet ist, das sollte durch einen Verweis auf § 27 Abs.1 Satz 1 SGB VIII noch mal klargestellt werden.

Artikel 6: § 1632 Abs. 4 BGB

Die geplanten Einfügungen beinhalten eine viel zu hohe Hürde für die Anordnung eines dauerhaften Verbleibes. Die Regelung ist nicht geeignet, Kindern, die aufgrund von Zeitablauf enge Bindungen an ihre Pflegefamilie entwickelt haben, die für ihre Entwicklung notwendige Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln. Kinder sind für ihre Entwicklung auf stabile Bindungen angewiesen. Die gilt umso mehr für Pflegekinder die unter Vernachlässigung, körperlicher und seelischer Misshandlung gelitten hatten und meist mit erheblichen Entwicklungsrückständen in die Pflegefamilien kamen.

Artikel 6: § 1696 Abs. 3 BGB

„…der Gefährdung des Kindeswohls innerhalb eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes vertretbaren Zeitraums auf andere Weise, auch durch öffentliche Hilfen anlässlich seiner Rückführung zu den Eltern, begegnet werden kann.“

Die Vorstellung, man könne ein Pflegekind, nachdem bereits einmal der Verbleib angeordnet wurde, durch Einsatz von Jugendhilfe gefahrlos aus der Bindung zu seinen Pflegeeltern lösen, widerspricht diametral der wissenschaftlichen Forschung zu kindlichen Bindungen.

 

Zum Problem und Ziel

Die gravierenden Probleme der deutschen Jugendhilfe werden seit Jahren an den Kindern sichtbar, die schweren Schaden erlitten oder zu Tode kamen. Die Untersuchungsberichte zu den Kindern Kevin und Yagmur in Hamburg, zu den Fällen in Stauffen und Lügde belegen dies eindrücklich. Die dort aufgezeigten  Qualitätsmängel berücksichtigt der Referentenentwurf nicht.[1]

Wir zählen hier nur einige der strukturellen Mängel auf:

  1. Die Arbeit der Jugendämter und ihr Vorgehen sind in jeder Stadt anders. Es gibt keine einheitlichen Qualitätsstandards für ihre Arbeit in Deutschland oder auch nur auf Ebene der Länder. Es gibt kein Qualitätsmanagement und auch keine Fachaufsicht auf Landeseben. Dies hat zur Folge, dass das Handeln oder auch das Unterlassen in den verschiedenen Städten und auch Kreisen völlig unterschiedlich ist.
  2. Es fehlt eine gründliche Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den zentralen Themen des Kinderschutzes: Vernachlässigung, Misshandlung, sexueller Missbrauch und kindliche Entwicklung. An den Hochschulen fehlen die entsprechenden Curricula. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehen aber nur das, was sie auf Grund einer fachlich guten Ausbildung gelernt haben zu sehen.[2]
  3. Viel zu viele Kinder erfahren in ihrer Kindheit keine Kontinuität und werden von einer Jugendhilfemaßnahme in die andere geschoben.
  4. Trotz viel zu knapper Personaldecke verbringen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Jugendämter viel zu viel Arbeitszeit mit Dokumentation. Dieser offensichtliche Missstand, der zu Frustration führt, wird durch den Referentenentwurf eher verschlimmert.

 

Zu den vorgeschlagenen Änderungen:

Artikel 1 – Änderungen im SGB VIII

  • 1 Abs.3 Nr.2

 „jungen Menschen ermöglichen oder erleichtern, entsprechend ihres Alters und ihrer individuellen Fähigkeiten in allen sie betreffenden Lebensbereichen selbstbestimmt zu interagieren und damit gleichberechtigt am Leben in der Gesellschaft teilhaben zu können,“

Muss nicht Ziel der Jugendhilfe zuvörderst der Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung, körperlicher und seelischer Misshandlung sein? Geht es nicht darum, die Lebensbedingungen zu schaffen, die das verhindern und einzugreifen, wo dies notwendig ist? Ist die Jugendhilfe nicht jetzt schon mit ihrer Aufgabe, Kinder vor schwerer Gefährdung zu schützen überfordert?

Kinder, die durch Vernachlässigung, Misshandlung und sexuellen Missbrauch traumatisiert wurden, brauchen in erster Linie Sicherheit, Geborgenheit und Zuwendung. Insbesondere diese Kinder wären mit dem Erziehungsziel „selbstbestimmt zu interagieren“ völlig überfordert.

 

Wir schlagen für § 1 Abs. 3 stattdessen die Formulierung aus Art. 6 der Verfassung des Landes NRW vor:

(1)   Jedes Kind hat ein Recht auf Achtung seiner Würde als eigenständige Persönlichkeit und auf besonderen Schutz von Staat und Gesellschaft.

(2)   Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Entwicklung und Entfaltung ihrer Persönlichkeit, auf gewaltfreie Erziehung und den Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung. Staat und Gesellschaft schützen sie vor Gefahren für ihr körperliches, geistiges und seelisches Wohl. Sie achten und sichern ihre Rechte, tragen für altersgerechte Lebensbedingungen Sorge und fördern sie nach ihren Anlagen und Fähigkeiten.

Im Referentenentwurf fehlt auch der Verweis auf die für Deutschland verbindlich formulierten Vorgaben der UN-Kinderrechtskommission (UN KRK). Es fehlt vor allem der Bezug zur Vorschrift des Art. 3 Abs.1 UN KRK, dass bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen ist. Auch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union bestimmt in Art. 24 den Vorrang des Kindeswohls. Dieser Vorrang wurde im Referentenentwurf durchwegs nicht berücksichtigt!

Die UN-Kinderrechtskonvention definiert folgende Grundbedürfnisse von Kindern:

  • Liebe und Akzeptanz (Präambel, Art. 6; Art.12, 13, 14 der Konvention)
  • Ernährung und Versorgung (Art. 27, 26, 32 der Konvention)
  • Unversehrtheit, Schutz vor Gefahren, vor materieller emotionaler und sexueller Ausbeutung (Art. 16, Art. 19,Art. 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40 der Konvention)
  • Bindung und soziale Beziehungen (Art. 8, 9, 10, 11, 20, 21, 22 der Konvention)
  • Gesundheit (Art. 24, 25, 23, 33 der Konvention)
  • Wissen und Bildung (Art. 17, 28, 29, 30 und 31 der Konvention)
  • 1 SGB VIII sollte den Vorrang des Kindeswohls bei allen Maßnahmen enthalten und sollte die oben aufgezählten Grundbedürfnisse wiederholen.

 § 8 Abs. 4, 10a Abs. 1, § 36 Abs. 1, 42 Abs. 2  und Abs. 3 SGB VII

Diese Vorschriften enthalten jeweils die Formulierung:

in einer (für sie) wahrnehmbaren Form“ .

Gesetze sollen gemäß § 42 Abs.5 GGO in einer für jedermann verständlichen Sprache formuliert werden. Es wird vorgeschlagen, wie folgt zu formulieren:

„in einer für das Kind oder die jugendlichen Person verständlichen Form“ bzw.

„in einer für die Eltern oder Erziehungsberechtigten  verständlichen Form“.

Gemeint ist ja, dass so erklärt werden soll, dass die Adressaten die gegebene Erklärung mit ihren Möglichkeiten verstehen.

 

  • 8a Abs.1 Nr. 2

Die Änderung begrüßen wir.

 

  • 9a Ombudsstellen

Die Einrichtung von unabhängigen Ombudsstellen begrüßen wir.
Die Ombudsstellen sind aber kein Ersatz für die Verbesserung der bestehenden Mängel im Kinderschutz.
Eine Ombudsstelle kann auch kein Ersatz für die fehlende Fachaufsicht sein.

 

  • § 35a, 36, 36a, 36 b, 37, 37 a, 37 b

Wir begrüßen die Änderungen und Ergänzungen.

  • 37 c Abs. 3, Satz 2

„Der Wahl und den Wünschen des Leistungsberechtigten ist zu entsprechen“ 

Genau diese Formulierung hat im Fall „Lügde“ dazu geführt, dass das damals zuständige Jugendamt dem Wunsch der personensorgeberechtigten Mutter entsprach und „den Bekannten“ als Pflegevater akzeptierte, obwohl dieser in prekären Lebensverhältnissen lebte. Das Jugendamt war und ist der Meinung, dass es dem Wunsch der sorgeberechtigten Person zu entsprechen hatte.

Diese Rechtsauffassung wurde sowohl vom damals zuständigen Jugendamt als auch vom Vertreter des Städtetages in der Kinderschutzkommission im Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend im Sommer 2020 verteidigt.

Um solche folgenschweren Rechtsirrtümer in Zukunft zu vermeiden, sollte deshalb eindeutiger formuliert werden, dass der Wahl und den Wünschen des Leistungsberechtigten nur dann entsprochen werden darf, wenn die gewählte Maßnahme auch geeignet ist. Um das klarzustellen sollte hier ein Verweis auf § 27 Abs. 1 SGB VIII aufgenommen werden.

Leistungsberechtigt sind im geltenden Recht nur die Sorgeberechtigten des Kindes oder der jugendlichen Person.

Die Beschädigungen von Kindern in der frühen Kindheit führen in der Pubertät zu besonders schwierigem Verhalten der Kinder. Manche Pflegekinder werden in der Pubertät in der Schule oder auch in ihrer Pflegefamilie so schwierig, dass die Unterbringung in einem Heim oder einem Internat notwendig ist. Dennoch ist die Bindung zu den Pflegeeltern vorhanden und darf deshalb nicht abgebrochen werden. Aus diesem Grund sollte, wenn das Kind „längere Zeit“ in der Pflegefamilie gelebt hat, das Wunsch- und Wahlrecht den Pflegeeltern zustehen. Es sind i.d.R. die engagierten Pflegeeltern, die ihr Pflegekind am besten kennen und die mögliche Unterbringung ihres Pflegekindes beurteilen können. Dies gewährleistet auch die Unterbringung in der Nähe der Pflegefamilie zur Aufrechterhaltung der Bindung und des gewohnten Umfeldes der Jugendlichen.

Es fragt sich vor allem, ob nicht mit zunehmenden Alter einem Wahl- und Wunschrecht der jugendlichen Person Vorrang gegenüber seinen Sorgeberechtigten eingeräumt werden muss![3]

 

  • 50 Abs. 2 Satz 3

Hier muss es heißen:

„…,legt das Jugendamt alle Hilfepläne vor.

In aller Regel gehen einem Gerichtsverfahren viele Hilfsmaßnahmen der Jugendhilfe voraus. Folglich gibt es in der Regel  viele Hilfepläne, die alle dem Familiengericht vorgelegt werden sollten.

 

  • 94 Umfang der Heranziehung

Wir fragen uns, ob es nicht kostengünstiger ist, wenn der Staat dem jungen Menschen den Kostenbeitrag erlässt. Junge Menschen, die Jugendhilfe beziehen, werden sehr selten so viel verdienen, dass sich der mit der Heranziehung verbundene Kostenaufwand der Verwaltung lohnt. Es ist auch nicht gerecht, eine Person, die in eine prekäre Lebenssituation hineingeboren wurde und meist dauerhafte Beeinträchtigung der Persönlichkeitsentwicklung erlitt, auch noch zu den Kosten für Hilfsmaßnahmen heranzuziehen.

 

Artikel 2 – Änderungen des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz

Diese Vorschriften begrüßen wir.

 

Artikel 6 – Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs

  • 1632 BGB

Dem § 1632 Absatz 4 wird folgender Satz angefügt:

 „Das Familiengericht kann in Verfahren nach Satz 1 von Amts wegen oder auf Antrag der Pflegeperson zusätzlich anordnen, dass der Verbleib bei der Pflegeperson auf Dauer ist, wenn

  1. sich innerhalb eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes vertretbaren Zeitraums trotz angebotener geeigneter Beratungs- und Unterstützungsmaßnahmen die Erziehungsverhältnisse bei den Eltern nicht nachhaltig verbessert haben und eine derartige Verbesserung mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zukünftig nicht zu erwarten ist
  2. die Anordnung zum Wohl des Kindes erforderlich ist.“

 

Wenn Kinder in Deutschland in Dauerpflegefamilien untergebracht werden, dann sind in aller Regel bereits mehrere ambulante oder stationäre Unterstützungsmaßnahmen des Jugendamtes erfolglos geblieben. Der größte Teil der Kinder ist durch erlittene Deprivation in ihrer Entwicklung geschädigt. Viele Kinder haben bereits in einer Bereitschaftspflege auf Verbesserung der Erziehungsbedingungen in ihrer Herkunftsfamilie gewartet und bei der Übersiedlung in die Dauerpflegefamilie erneut Schäden durch den Abbruch der Bindungen zur Bereitschaftspflegefamilie erlitten. Wenn diese Kinder nun in ihren Pflegefamilien durch längere Zeit Bindungen aufgebaut haben, dann kommt eine inzwischen wieder hergestellte Erziehungsfähigkeit ihrer biologischen Eltern für diese Kinder zu spät.

Bis zum rechtskräftigen Abschluss der Verfahren leben die Kinder mindestens 1 Jahr, in der Regel 2 -3 Jahre in ihren Pflegefamilien. Ein Zeitraum, der für die vom Verfahren betroffenen Kinder sehr belastend ist.

Deshalb lehnen wir die vom Referentenentwurf vorgeschlagene Einfügung in § 1632 Abs. 4 BGB  aus folgenden Gründen entschieden ab:

Die Regelung ist nicht geeignet, Kindern, die aufgrund von Zeitablauf enge Bindungen an ihre Pflegefamilie entwickelt haben, die für ihre Entwicklung notwendige Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln.

Die Anordnung des dauerhaften Verbleibes soll nach dem Referentenentwurf von folgenden Voraussetzungen abhängig gemacht: Es wurden Hilfe- und Unterstützungsmöglichkeiten angeboten.

Es kommt häufig vor, dass zwar Hilfe und Unterstützung angeboten wurde, diese Angebote von den Eltern aber abgelehnt wurden.

Es kommt immer wieder vor, dass diese Angebote und die damit zusammenhängenden Gespräche nicht ausreichend dokumentiert wurden.

Hilfe- und Unterstützung hätten nicht ausgereicht, um die Unversehrtheit des Kindes zu garantieren.

Zusätzliche  Voraussetzung für die Anordnung des dauerhaften Verbleibes in der Pflegefamilie soll sein, dass „sich die Erziehungsverhältnisse bei den Eltern nicht nachhaltig gebessert haben“

Der Begriff „Erziehungsverhältnisse“ ist verfehlt. Denn es geht nicht um die Erziehungsverhältnisse! Entscheidend ist die Erziehungsfähigkeit. Die sogenannte allgemeine Erziehungsfähigkeit von Eltern bessert sich oft. Aber entscheidend ist hier die spezielle Erziehungsfähigkeit. Das heißt die Fähigkeit dieses Kind nach der Trennung von seinen Bezugspersonen und seinem gewohnten Umfeld, Geschwister, Großeltern, Tanten und Onkel in der Pflegefamilie, Freunde, Kindergarten oder Schule zu erziehen.

Das erfordert die Fähigkeit sich in die Bedürfnisse und vor allem die Gefühle des Kindes einzufühlen, Wut und Trauer des Kindes zu akzeptieren. Mit nächtlichem Schreien, Trotz und Zerstörungswut umzugehen. Nicht umsonst sind rückgeführte Pflegekinder besonders gefährdet, körperlich misshandelt zu werden.

Weiter will der Referentenentwurf verlangen, dass

„eine derartige Verbesserung mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zukünftig nicht zu erwarten ist“

Ein Sachverständiger wird eine solche Prognose kaum formulieren. Denn natürlich können sich Menschen entwickeln und lernen. Der entscheidende Punkt ist, dass im Leben der Pflegekinder Zeit vergangen ist und sie sich aus biologischen Gründen in diesem Zeitraum an ihre Pflegeeltern gebunden haben und sie diese damit zu ihren Eltern gemacht haben. Eine erneute Trennung fügt ihnen, wie wissenschaftlich gut belegt, nachhaltigen Schaden zu.

Die Praxis zeigt, dass sich nach einer familiengerichtlichen Anordnung des Verbleibens in der Pflegefamilie meist Klarheit eintritt und sich das Leben des Kindes beruhigt. Die Umgangskontakte verbessern sich. Die meisten Eltern akzeptieren den Verbleib.

Wenn jetzt durch die Änderungen des § 1632 Abs.4 BGB für die Anordnung des dauerhaften Verbleibens eine derart hohe Hürde wie

„und eine derartige Verbesserung mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zukünftig nicht zu erwarten ist“

in das Gesetz geschrieben wird, dann folgt daraus zwangsläufig, dass die Anordnung des Verbleibens nur vorläufig ist und der dauerhafte Verbleib sehr selten ist.

Auch die Formulierung

„die Anordnung zum Wohl des Kindes erforderlich ist.“

baut eine zusätzliche, nicht gerechtfertigte und überflüssige Hürde auf.

Die geplanten Ergänzungen des § 1632 Abs. 4 BGB  würden dazu führen, dass die Anzahl der Verfahren  auf Aufhebung der Anordnung auf Verbleibens sich deutlich erhöhen würden. In der Konsequenz müssten noch mehr Pflegekinder in Angst und Unsicherheit leben. Ihre Chancen auf Gesundung würden noch mehr vermindert, als dies jetzt schon der Fall ist.

Wir erinnern daran, dass der wichtigste Baustein für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung die stabile Bindung an eine zugewandte Person ist.

 

  • 1696

Dem § 1696 wird folgender Absatz 3 angefügt:

 „(3) Eine Anordnung nach § 1632 Absatz 4 ist auf Antrag der Eltern aufzuheben, wenn

  1. die Wegnahme des Kindes von der Pflegeperson das Kindeswohl nicht gefährdet

oder

  1. der Gefährdung des Kindeswohls innerhalb eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes vertretbaren Zeitraums auf andere Weise, auch durch öffentliche Hilfen anlässlich seiner Rückführung zu den Eltern, begegnet werden kann.“

 

Dies bedeutet ebenfalls eine Verschlechterung für Pflegekinder, denn in einem vorausgegangen gerichtlichem Verfahren wurden bereits folgende Feststellungen getroffen:

  • Das Kind lebt seit längerer Zeit in Familienpflege und

 

  • es würde durch die Herausnahme nachhaltigen seelischen oder körperlichen Schaden erleiden.

Im vorausgegangenen Verfahren wurde also bereits festgestellt, dass ein Abbruch des entstandenen Eltern-Kind-Verhältnisses zwischen Pflegeeltern und Pflegekind dem Kind nachhaltigen Schaden zufügen würde.

Dadurch, dass Zeit vergeht, ändert sich doch nicht die entstandene Bindung des Pflegekindes an seine Pflegeeltern. Wenn jetzt der Gesetzgeber ausdrücklich vorschreiben würde, dass erneut geprüft werden muss, ob nicht durch öffentliche Hilfe die Gefahr abgewandt werden kann, so ist zunächst festzustellen, dass die schweren Schäden durch Trennung aus Bindung nicht durch Maßnahmen der Jugendhilfe zu beheben sind.  Die Beschädigung des Vertrauens in menschliche Bindungen und des Vertrauens in diese Welt wird unwiederbringlich beschädigt. Daran kann der Einsatz von Jugendhilfe nichts ändern.

Der Referentenentwurf behauptet, man könne ein Pflegekind, nachdem bereits einmal der Verbleib angeordnet wurde, durch Einsatz von Jugendhilfe gefahrlos aus der Bindung zu seinen Pflegeeltern lösen. Eine solche Vorstellung widerspricht diametral der wissenschaftlichen Forschung zu kindlichen Bindungen.

Der vorgeschlagene § 1696 Abs.3 Nr. 2 BGB macht überhaupt keinen Sinn, denn aus der Existenz einer bereits ergangenen Anordnung gemäß § 1632 Abs. 4 BGB folgt naturgemäß, dass ein „im Hinblick auf die Entwicklung vertretbarer Zeitraum“ längst abgelaufen ist.“

In der Praxis zeigt sich, dass die zurzeit geltende Formulierung in  § 1696  funktioniert.

Die geplanten Änderungen des § 1632 Abs.4 und § 1696 BGB führen nicht zu mehr Kontinuität im Leben von Pflegekindern.

Die viel zu hohen Hürden für die Anordnung eines dauerhaften Verbleibs im Referentenentwurf schwächen im Umkehrschluss die einmal ergangene Anordnung auf Verbleib in der Pflegefamilie gemäß § 1632 Abs.4 BGB.

Zurzeit ist es so, dass die meisten Babys und Kleinkinder vor ihrer Aufnahme in die Dauerpflegefamilie bereits 1- bis 2-mal außerhalb ihrer biologischen Familien untergebracht waren[4].

„Je mehr Wechsel einem Kind zugemutet werden, desto weniger gelingt ihnen ihre psychosoziale Anpassung und desto höher ist ihr Risiko psychischer Belastungen und vielfältiger Entwicklungsbeeinträchtigungen bis hin in das Erwachsenenalter. Diese schädigenden Effekte kumulieren bereits ab zwei bis drei erlebten „Platzierungswechseln“.[5]

Für Pflegekinder ist, um trotz erlittener Deprivation dennoch eine gute Entwicklung „zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ (§ 1 Abs. 1 SGB VIII)  zu erreichen, die Stabilität der Bindungen zu ihren Pflegeeltern und die Kontinuität ihrer Umgebung besonders wichtig.

Die vorgeschlagenen Änderungen des BGB würden unsere Pflegekinder schädigen. Deshalb lehnen wir als Verband die oben aufgeführten Änderungen im Referentenentwurf entschieden ab.

Claudia MarquardtPAN Pflege- u. Adoptivfamilien NRW

 

[1] Zu den Mängeln s. z.B. https://landtag.nrw.de/home/dokumente_und_recherche/aktuelle-dokumente.html?dokTyp=ST&wp=17&dokNum=Kinderschutz%20in%20NRW%20und%20seinen%20Kommunen&_eventId_sendform=suchen; Drucksache 17/30

[2] Es spricht für sich, dass im Fall Lügde die Mitarbeiterin der Jobcenters den Verdacht auf sexuellen Mißbrauch hatte während weder der Einzelfallhilfe noch den zuständigen Mitarbeitern des Jugendamtes etwas auffiel

[3] Siehe auch die Argumente bei Jörg Fegert in: Verfahrensbeistandschaft, 4. Auflage, 2020 m.w.N, S. 527

[4] , MeriemDiouni-Streek/Gisela Zenz, in: Verfahrensbeistandschaft, 4. Auflage, 2020 m.w.N, S. 511

[5] MeriemDiouni-Streek/Gisela Zenz ebenda

 

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